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Umfallen beim Gebet?

Ein Wort der Verständigung über ein umstrittenes Phänomen

Wolfram Kopfermann

Der folgende, leicht überarbeitete Text ist eine frühe Äußerung zu dem Phänomen des Umfallens beim Gebet, das ab den 1980er Jahren vermehrt aufgetreten ist. Er geht daher nicht auf neuere Entwicklungen ein. Der Kern der Aussagen gilt jedoch unverändert und kann auf aktuelle Erfahrungen übertragen werden.

Wir hatten davon gehört: in Amerika, wo bekanntlich vieles anders ist, fielen gelegentlich oder, etwa im Dienst von Kathryn Kuhlman, häufig Menschen zu Boden, wenn für sie gebetet wurde. In der Literatur wurde diese Erfahrung bezeichnet als „Hingestreckt-­“, „Überwältigtwerden vom Geist“, als „Fallen unter der Kraft“, als „Ruhen im Geist“. Inzwischen gibt es dieses Phänomen auch in Deutschland. Es löst Dankbarkeit oder Abwehr aus. Manche überlegen sich, ob es Zeit sei, Verbote auszusprechen. Natürlich gibt es auch Zwischentöne. Offen gesagt: die Gefahr lässt sich nicht leugnen, dass es an dieser Nebensächlichkeit zu Reibungen, Entfremdungen, ja hier und da zu Trennungen kommen könnte. Nichts erscheint deshalb vordringlicher als Besonnenheit. Es ist bequem, „dafür oder dagegen“ zu sein. Wichtiger erscheint mir die Frage: womit haben wir es eigentlich zu tun? Was lässt sich heute schon über dieses ein wenig geheimnisvolle Phänomen sagen? Wie gehen wir mit ihm um, wenn es auftritt? Die folgenden Überlegungen wollen nicht das letzte Wort zur Sache sprechen. Sie sind eher als Einladung zum Weiterdenken gemeint.

I. Die Vielfältigkeit des Phänomens

Die Erfahrung, von der hier die Rede ist, tritt in unterschiedlichen Gestalten auf. Es ist notwendig, diese Vielfalt im Blick zu haben, wenn wir das Phänomen angemessen erfassen wollen.

1.) Das „Phänomen des Umfallens“ kann innerhalb der Einzelseelsorge oder in einem Gottesdienst oder einer anderen Zusammenkunft von Christen auftauchen.

2.) Es kann in Verbindung mit einer Handauflegung oder ohne eine solche passieren.

3.) Es kann solchen zuteilwerden, die es erwartet hatten und wollten, aber auch anderen, die fest entschlossen waren, nicht „umzukippen“.

4.) Es kann im Dienst eines geistlichen Leiters relativ häufig, aber auch nur gelegentlich auftauchen.

5.) Die Dauer des Ruhens kann wenige Sekunden, aber auch mehrere Stunden betragen.

6.) Menschen können diese Erfahrung machen, wenn sie vorher standen oder gesessen oder gekniet hatten.

7.) Nach den Selbstaussagen der Betroffenen kann damit eine lebensverändernde geistliche Erfahrung, aber auch nur ein Tage oder Stunden nachwirkendes Glücksgefühl verbunden sein.

II. Die Mehrzahl der Deutungen

Das beschriebene Phänomen kann prinzipiell auf drei Weisen gedeutet werden:

1.) Manche Christen sind überzeugt, dass ein Umfallen von Menschen in einem geistlichen Kontext – etwa bei einer Handauflegung durch bevollmächtigte Christen, während einer Predigt oder in einem ähnlichen Zusammenhang – eine unmittelbare Wirkung des Heiligen Geistes ist. Sie nennen diese Erfahrung deshalb auch ohne Einschränkungen oder Vorbehalte „Ruhen im Geist“ oder ähnlich. Dass es sich hierbei um einen außergeistlichen (auf unbewussten Erwartungen, Autosuggestion oder anderen Kräften beruhenden) Vorgang handeln kann, auch wenn er in einem geistlichen Rahmen geschieht, erwägen sie nicht.

2.) Andere Christen bestreiten grundsätzlich, dass das Umfall-Phänomen, selbst wenn es innerhalb charismatischer Gottesdienste geschieht, etwas mit dem Heiligen Geist zu tun habe. So sprach etwa Kardinal Suenens[1] von einer pseudo­mystischen Erfahrung. Er bezeichnete das Phänomen als „Geist-­Ohnmacht“ und wertete es zusammenfassend ausschließlich als „parapsychologisches Phänomen“ (S.85). „Es gibt daher keinen berechtigten Grund dafür, sie (ergänze: diese Phänomene) einem direkten Eingreifen des Heiligen Geistes zuzuschreiben“ (S.87). Suenens scheint sie sozusagen für vermeidbar, also der bewussten Steuerung zugänglich zu halten, wenn er betont, es sei „wichtig“, dass sich „die Führer der Charismatischen Erneuerung nicht“ zu ihnen „hergeben“ (S. 87).

3.) Einer dritten Gruppe erscheint es am angemessensten, die Möglichkeit ernst zu nehmen, dass im Zusammenhang mit dem Wirken des Heiligen Geistes bestimmte psychosomatische Manifestationen begegnen können. Ob es im Einzelfalle der Heilige Geist war, der die Wirkung hervorbrachte, bleibt dabei zunächst offen. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ (Matth.7,20): das gilt hier sinngemäß. Dass Erfahrungen der beschriebenen Art auf den Heiligen Geist zurückgehen können, möchte ich in dem folgenden Abschnitt (III.) deutlich machen. Rechnen wir grundsätzlich, also nicht für jeden Einzelfall, damit, dass dieses Phänomen auf eine intensive Einwirkung des Heiligen Geistes zurückgehen kann, so erhebt sich die Frage, wie man sich den Vorgang erklären soll. Wirft der Heilige Geist Leute um?

Francis MacNutt[2] teilt mit, dass die meisten Menschen, die dieses Phänomen erlebten, nach ihren Selbstaussagen dabei innerlich lebendiger als je zuvor gewesen seien (S.133). „Soweit ich sehe, ist es die Kraft des Heiligen Geistes, die einen Menschen mit einem derart gesteigerten inneren Bewusstsein erfüllt, dass die körperlichen Energien nachlassen, bis sie schließlich völlig ausfallen“ (S.132). Es gehe hier um „ein Zuviel an Leben für den Körper“ (S.133).

Dennis Bennett[3] äußert sich ähnlich: „Der Herr schlägt seine treuen Kinder nicht zu Boden, aber der menschliche Körper und auch die Seele reagieren manchmal auf das Wirken des Heiligen Geistes in dieser Weise. Plötzlich versagen dann die Muskeln, und unsere Glieder verlieren ihre Kraft, so dass die betreffende Person auf den Fußboden fällt. Der Mensch verliert dabei nicht sein Bewusstsein“ (S.114).

Wie soll man sich den Vorgang erklären: Wirft der Heilige Geist
Leute um?

Kardinal Suenens interpretierte, wie wir sahen, das Phänomen als „Ohnmacht“ und behauptete, dass die betreffende Person „zu Boden stürzt und dort eine Zeitlang in einem Zustand mehr oder minder tiefer Bewusstlosigkeit verbleibt“ (S. 86). „Ohnmacht“ ist im medizinischen Sinne tatsächlich ein Zustand der Bewusstlosigkeit, der auf mangelhafter Durchblutung des Gehirns beruht und durch plötzliches Kreislaufversagen hervorgerufen wird. Viele von uns kennen Ohnmachten aus eigener Erfahrung oder aufgrund von Fremdbeobachtung. Diese Deutung für das Phänomen des Umfallens scheitert sowohl an dem offensichtlichen Erscheinungsbild als auch an den Selbstzeugnissen von Menschen, die das Phänomen aus eigenem Erleben kennen. Allerdings ist festzuhalten, dass wir im Hinblick auf die einzelnen Umstände des Zustandekommens dieser Erfahrung noch keine wissenschaftliche Klarheit besitzen. Freunde und Kritiker dieses Phänomens sind bisher gleichermaßen auf Vermutungen angewiesen. Auch Deutungen, die sich wissenschaftlich sehr selbstsicher geben, sind zurzeit nur Hypothesen.

III. Eine biblische Begründung

Bevor wir die viel gestellte Frage beantworten, ob das „Umfallen“ biblisch begründbar ist, müssen wir uns zunächst über den Sinn der Frage selber verständigen. Sie kann mindestens zweierlei meinen:

1.) Gibt es Stellen in der Bibel, insbesondere im Neuen Testament, in denen bezeugt wird, dass Menschen im Zusammenhang mit der Verkündigung des Evangeliums, bei einer Handauflegung durch Gläubige, im Rahmen eines christlichen Gottesdienstes oder bei vergleichbaren Anlässen umfielen?

2.) Ist das uns bekannte Phänomen des „Umfallens“ mit dem biblischen, zumal neutestamentlichen Verständnis des göttlichen Handelns am Menschen, insbesondere des göttlichen Geistwirkens vereinbar oder widerspricht es dem Wesen der Begegnung zwischen Gott und Mensch, wie sie die Heilige Schrift versteht? Ist es schriftgemäß?

Die Art der Frage, wie sie 1.) aufweist, nennen wir biblizistisch: nur, was in der Bibel steht, ist christlich legitim. Die Geistliche Gemeinde­-Erneuerung in der evangelischen Kirche hat sich von Anfang an gegen den biblizistischen Weg entschieden; wir halten ihn für ungeschichtlich. Die Art der Frage, wie sie 2.) darstellt, ist an der Schriftgemäßheit einer heutigen Aussage oder Praxis interessiert. Nach dieser Sicht kann die Kirche auch Aussagen machen oder Handlungen vollziehen, die so in der Bibel kein Vorbild haben, aber der Heiligen Schrift nicht widersprechen. Dieser Umgang mit der Heiligen Schrift ist uns von Martin Luther als Erbe hinterlassen worden. In diesem Sinne wäre konkret zu fragen, ob man die biblische Legitimität des „Umfallens“ auf Texte wie Matthäus 17,6; Johannes 18,6; Apostelgeschichte 9,4; Offenbarung 1,17 gründen kann. Ich persönlich glaube, dass die genannten Stellen in den Umkreis unseres Themas gehören, dass sie aber die von ihnen erwartete Beweislast nicht zu tragen vermögen.

Es genügt im Sinne der 2. Art der Fragestellung die ­ allerdings unbestreitbare ­ Feststellung, dass Geisterfahrung nach dem Neuen Testament unter anderem auch Krafterfahrung ist, die sich nicht nur auf den menschlichen Leib bezieht, sondern sich auch körperlich manifestieren kann. Dazu einige Hinweise.

a.) Paulus stellt theologisch einen Zusammenhang zwischen dem Heiligen Geist und dem Leib der Gläubigen her, indem er lehrt, dieser sei ein Tempel des Gottesgeistes (1. Kor. 3,16; 6,19) Für Paulus ist es keine abstruse Merkwürdigkeit, sondern eine göttliche „Offenbarung“, als Gott ihn bis in den dritten Himmel entrückt (2. Kor. 12,1­2); dabei kommt es offenbar zu einer schwer definierbaren „Einbeziehung“ seiner Körperlichkeit, so dass er die Möglichkeit offen lässt, er habe sich außerhalb seines Leibes befunden (2. Kor. 12,2­4).

b.) Die Geisterfülltheit Jesu schließt nach Markus sein Erfülltsein mit Kraft ein. Nach Markus 3,10 wird Heilung vonseiten Jesu dadurch empfangen, dass Menschen ihn körperlich berühren. Die Geschichte von der Heilung der „blutflüssigen“ Frau ist nur verständlich, wenn man annimmt, dass auch der physische Leib Jesu mit Kraft aufgeladen war, die der hilfesuchenden Frau durch körperliche Berührung zugänglich wurde (Markus 5,25­-34). Jesus nimmt (Vers 30) einen Verlust dieser Kraft an sich wahr. Während Protestanten geneigt sind, die Geschichte samt ihren Voraussetzungen in den „finsteren“ Bereich der Magie einzuordnen und offen oder heimlich die Frage nach einer evangelischen Bibelkritik erwägen, legitimiert Jesus das Verhalten der Frau, indem er es als „Glaube“ bezeichnet (Vers 34).

c.) Das Geistverständnis der lukanischen Schriften betont den Zusammenhang zwischen Geisterfahrung, Kraft und Leiblichkeit besonders. In der Taufgeschichte Jesu heißt es bei Lukas, der Geist sei in „leibhaftiger Gestalt“ herniedergestiegen (Lukas 3, 22). „Ähnlich ist es zu beurteilen, wenn er die sichtbaren Erscheinungen an Pfingsten gerne aufnimmt oder ein Erdbeben die Realität des Geschehens bezeugen lässt (Apg 2,3­6; 4,31).“ Lukas ist „daran interessiert“ dass der Geist „sich bis ins Sichtbare, Feststellbare hinein manifestiert. Dabei sind ihm gerade diese Manifestationen wichtiger als anderen neutestamentlichen Zeugen.“[4] Es passt in diese Sicht, dass der Geist nach Apostelgeschichte 8,39 den Philippus körperlich entrückt. Dem modernen personalistischen Denken bereitet es große Schwierigkeiten, dass nach Apostelgeschichte 5,15-­16 dem Schatten des Petrus heilende Kraft zugeschrieben wird (Lukas hat diese volkstümliche Erwartung nicht kritisiert!). Später heißt es dann,  man habe die Schweiß-­ und Taschentücher des Paulus den Kranken aufgelegt ­ mit dem Effekt, dass die Krankheiten gewichen und die bösen Geister ausgefahren seien (Apg 19,12). Ehe wir solche Aussagen kritisch hinterfragen, sollten wir unsere eigenen Denkvoraussetzungen überprüfen, die wohl immer noch stärker vom Idealismus als von biblischen Überlieferungen her geprägt sind. Eduard Schweizer hält den lukanischen Gedanken für „wesentlich“, „dass der Geist auch die Leiblichkeit des Menschen Gott unterstellen will, und dass seine Wirkung bis in diese Dinge hineinreicht“ (a.a.o. S.405).

Im Rahmen dieser neutestamentlichen Welt wirkt das Phänomen des „Umfallens“, wie wir es kennen, nicht ungewöhnlich. Das wäre nur dann anders, wenn man sich den Vorgang so vorzustellen hätte, als werfe der Heilige Geist Menschen zu Boden, als handele es sich also um ein Umgestoßen-Werden durch den Geist. Davon kann biblisch gesehen allerdings keine Rede sein. Ebenfalls verträgt sich eine Deutung des Umfall­-Phänomens als Ohnmachts-­Erfahrung nicht mit dem Neuen Testament. Beide Interpretationen sind unsachgemäß (vgl. oben). Solange bei der Erfahrung des Umfallens die personale Verantwortlichkeit des Menschen nicht beeinträchtigt wird, solange er also nicht zum Objekt göttlichen Handelns degradiert erscheint, bleibt das besprochene Phänomen schriftgemäß

IV. Der geistliche Gewinn

Das Phänomen des Umfallens wird nicht immer, aber in vielen Fällen als segensreich erfahren. Dieses Urteil bezieht sich nicht auf die Gefühle, welche die betroffenen Menschen in jener Situation empfinden. Man sollte vorübergehenden Gefühlen von „Glück“ oder „Frieden“ nicht allzu viel Wert beimessen. Wenn sie überhaupt auftreten, halten sie meist nur einige Stunden oder Tage an und gehören zu den eher oberflächlichen Auswirkungen. Außerdem sind Gefühle allgemein kein Gradmesser spirituellen Lebens. Es kann sich nur darum handeln, die Art der Begegnung mit Gott und ihre Auswirkungen festzustellen.

Abgesehen von den Selbstaussagen einer Reihe von Mitchristen, die sich über geistliches Wachstum in Verbindung mit der Erfahrung des „Umfallens“ geäußert haben, werden in der wenigen bisher vorliegenden Literatur positive Auswirkungen festgehalten. Francis Mac Nutt berichtet von einem Seminaristen, der sich nach seiner Erfahrung folgendermaßen äußerte: „Ich meine immer noch zu hören: ‚Ohne mich könnt ihr nichts tun‘. Mein Leben lang habe ich immer alles in der Hand haben wollen. Jetzt muss ich es Gott überlassen“ (S. 128). Derselbe Autor zitiert aus einem Brief: „Wirklich wichtig ist, dass ich Jesus jeden Tag (ergänze: nach dieser spezifischen Erfahrung) besser kennenlerne“ (S. 135). Eine Frau hatte, so Mac Nutt, während des „Ruhens im Geist“ den Herrn sagen hören: „Gib mir dein Leben, und ich will dich heilen.“ Sie übergab ihr Leben dem Herrn und war geheilt (S. 135). Colin Urquhart[5] berichtet von einer Frau, der Gott in Verbindung mit dem besprochenen Erlebnis ihre innere Rebellion aufdeckte. Hinterher berichtete sie, Gott habe ihr gezeigt, wer der Herr in ihrem Leben sei (S. 72). Urquhart, der viele Leute nach ihren geistlichen Erfahrungen in Verbindung mit dem diskutierten Phänomen befragte, fasst seine Eindrücke so zusammen: „Obwohl dieses Phänomen manchmal psychologisch induziert sein könnte, sah ich genug, um mich von dem echten Werk zu überzeugen, welches Gott in vielen vollbrachte“ (S. 74; aus dem Englischen übersetzt). Andere Erfahrungen zeigen, dass zu den echten Früchten des Umfall-­Phänomens gehören kann: ein vertiefter Glaube, eine verstärkte Bereitschaft zum Dienst am Nächsten, oft auch eine ganz neue Liebe zur Heiligen Schrift, mehr Verlangen nach persönlichem und gemeinschaftlichem Gebet und ein Hervorbrechen bzw. eine Intensivierung von Geistesgaben.

V. Gefahren des Umgangs mit dem Phänomen

des Umfallens

Wir sprechen hier nicht von den Gefahren des Umfallens, sondern denen des Umgangs mit dem Phänomen. Auch die „Befürworter“ dieser spezifischen Erfahrung machen immer wieder auf die hier zu beachtenden Gefahren aufmerksam.

Mac Nutt prangert die Sensationslust an: „Anstatt auf Jesus zu schauen, wollen die Menschen das Sichtbare und Greifbare. Wenn links und rechts jemand umfällt, entsteht eine Zirkusatmosphäre, die auf jeden besonnenen Christen störend wirkt.“ (S.142). Er warnt davor, jedes Umfallen für ein Zeichen des Geistes zu halten; zu glauben, ein Treffen sei geisterfüllter, wenn Menschen umfielen; ein Geistlicher sei geisterfüllter, durch dessen Hände Menschen diese besonderen Erfahrungen machten; einer, der umfällt, sei geisterfüllter als jemand, dem dies nicht zuteilwird; er macht darauf aufmerksam, dass sich bei dem ganzen Vorgang ein falscher Stolz einschleichen kann (S.142 bis 145).

Wir sollten unsere eigenen Denkvoraussetzungen überprüfen.

Ähnlich kritisch äußert sich Dennis Bennett: „Menschen mögen Heilung empfangen, während sie unter der Kraft zu Boden fallen. Doch genauso oft fallen sie und werden nicht geheilt. Das Fallen bewirkt die Heilung nicht“ (S. 118). Auch er moniert: „Wenn Menschen unter der Kraft zu Boden fallen, denken viele, dies sei ein Beweis für die Heiligkeit und Kraft des Evangelisten sowie für die Wirksamkeit seines Dienstes; außerdem meint man, dass Menschen, die auf diese Weise fallen, sich besonders bereitwillig dem Heiligen Geist untergeordnet hätten. Beides ist falsch.“ (S.119). Besonders bedenkenswert erscheint mir folgende kritische Überlegung von Bennett: „Viele Leute möchten gern, dass etwas an ihnen oder für sie geschieht, damit ihre Probleme gelöst werden, ohne dass sie selbst etwas dazu tun müssen … Es mag eine Anzahl Menschen geben, die es nicht nötig haben, unter der Kraft zu fallen, sondern eher Buße zu tun und Vergebung zu suchen oder ihren Ungehorsam dem Willen Gottes gegenüber zu ändern, damit sie in ihrer Seele Heilung finden. Doch wenn man selbst nichts zu tun braucht, meinen manche, wäre das ja viel einfacher.“ (S.119).

Die Nennung dieser Gefahren soll nicht aufheben, was früher über die Möglichkeiten eines geistlichen Gewinnes in Verbindung mit dieser Erfahrung gesagt wurde. Sie sollten aber unsere Sensibilität schärfen für die Abgründe, in die wir geraten können!

V. Pastorale Empfehlungen

1.) Dem Vorschlag John Richards folgend, habe ich es bereits in den vorausgehenden Überlegungen vermieden, das fragliche Phänomen mit einem eindeutig geistlichen Etikett zu versehen. Richards rechnet grundsätzlich damit, dass in Verbindung mit unserem Phänomen Menschen eine geistliche Erfahrung zuteilwerden kann, er möchte aber etwa vom „Ruhen im Geist“ erst dann sprechen, wenn sich an den Früchten dieser Erfahrung zeigt, dass sie vom Geist geschenkt war. Im Übrigen zieht er es vor, eine an der körperlichen Seite des Phänomens orientierte Beschreibung zu geben (z.B.: „Während des Gottesdienstes fielen drei Menschen um“). Ich halte diese Sprachregelung für außerordentlich hilfreich; sie nimmt das geistliche Urteil nicht vorweg und könnte Befürworter und Kritiker des Phänomens näher zueinander bringen.[6]

2.) Jedes unmittelbare Aus-Sein auf diese Erfahrung ist von der Bibel her abzulehnen. Sowohl der „Segner“ als auch der Segen-­Suchende sollten sich an Jesus Christus orientieren. „Ich war jedoch entschlossen, dieses Phänomen niemals anzustreben. Die Konzentration sollte sich auf den Herrn selber richten und darauf, dass wir im Glauben zu ihm kommen, nicht auf diese oder jene Manifestation der Auswirkungen seiner Kraft gegenüber Menschen. Es war möglich, Heilung im Stehen, im Knien, im Sitzen oder im Liegen zu empfangen‘! (Colin Urquhart a. a. O., S.74; aus dem Englischen übersetzt).

3.) Wir brauchen eine grundsätzliche Offenheit dafür, dass auch in unserem Erfahrungskreis eine Begleiterscheinung des geistlichen Lebens wie die besprochene passiert. Wenn es keine stichhaltigen Gründe gegen die Möglichkeit dieses Phänomens vom Neuen Testament her gibt, wenn aber genügend Material vorliegt, welches darauf hindeutet, dass Menschen einen wirklichen Gewinn von dieser Erfahrung haben können, sollten wir für sie grundsätzlich offen sein, zumal sie eben nicht der willensmäßigen Steuerung unterliegt.

4.) Wer in sich eine Abwehr, ja sogar Angst gegenüber diesem Phänomen spürt, sollte sich ehrlich seinen Emotionen stellen, statt sie theologisch zu rationalisieren. Fürchten wir uns davor, uns ein Stück weit aus der Hand zu geben?

5.) Wo das fragliche Phänomen in Verbindung mit dem Dienst eines Christen oder einer Christin unter uns häufiger auftritt, sollten wir diese Sondererfahrung nicht isolieren, indem wir etwa fragen, ob man diesen Mann oder diese Frau in Zukunft noch einladen könne. Wir sollten vielmehr prüfen, ob der Dienst solcher Christen im Ganzen von Gott gesegnet wird, d.h. ob durch sie Glaube ermutigt, Liebe vertieft, Hoffnung geweckt, Heilung vermittelt oder Heiligung voran gebracht werden. Ist der Dienst eines Mitchristen in dieser Weise durch Früchte des Geistes ausgewiesen, so sollten wir es uns verboten sein lassen, ihn wegen des besprochenen Randphänomens zu verdächtigen, uns von ihm zu distanzieren oder zu versuchen, ihn „von dieser Praxis“ abzubringen. Wie soll er das anstellen?

6.) Durch Vermeiden oder Verbote lässt sich das aufgeworfene Problem ebenso wenig bewältigen wie durch Erlebnissüchtigkeit. Immer wieder zeigt sich, dass neuartig wirkende geistliche Erfahrungen ihre Überbetonung am leichtesten verlieren, wenn sie in das Ganze des geistlich kirchlichen Lebens integriert werden.

Anmerkungen

[1] Léon-Joseph Suenens : Gemeinschaft im Geist, Salzburg 1979, S. 85 ff.

[2] Francis MacNutt: Beauftragt zu heilen, Graz/Wien/Köln/Metzingen 1979, S. 126 – 147.

[3] Dennis Bennett:  Wachstum durch Fülle im Heiligen Geist, Erzhausen 1983, S. 111-125

[4] Eduard Schweizer:  Artikel „Pneuma“ in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, ed. Gerhard Friedrich, Stuttgart, Band VI, S.404.

[5] Colin Urquhart: Faith for the Future London/Sydney/Auckland/Toronto 1982, S. 64-74.

[6] John Richards u.a.: Resting in the Spirit. Renewal Servicing, P.O.Box 366, Addlestone, Weybridge, Surrey KT 15 3 UL (ein siebzehnseitiges hektografiertes Arbeitspapier)

Aus: Gemeinde-Erneuerung, Juni 1983. Überarbeitung 2016

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